Im Jahr 2007 hat der Rat der EKD die Denkschrift Aus Gottes Frieden leben - für gerechten Frieden sorgen herausgegeben.
Nach den vorausgegangenen Friedensdenkschriften "Heidelberger Thesen über Krieg und Frieden im Atomzeitalter" (1959) und und „Frieden erneuern und bewahren“ (1981) befasst sich diese Denkschrift mit den friedenspolitischen Herausforderungen unter den politischen Bedingungen nach dem Ende des Kalten Krieges und den Ereignissen des 11. September 2001.
Mit dem Satz „Wer den Frieden will, muss den Frieden vorbereiten“ widerspricht sie dem alten politischen Grundsatz, nachdem den Krieg vorbereiten müsse, wer den Frieden wolle. Wirksame Friedenspolitik beruht vielmehr dem Abbau von Gewalt, dem Ausbau einer internationalen Rechtsordnung und der Förderung weltweiter sozialer Gerechtigkeit. Dieser Dreiklang von Frieden, Recht und Gerechtigkeit ist in der Kurzformel vom „Gerechten Frieden“ zusammengefasst.
Die Denkschrift gliedert sich nach einer Einleitung in vier Teile.
- Der 1. Teil ("Friedensgefährdungen") analysiert die Ursachen, die derzeit zu einer Gefährdung des politischen Friedens beitragen; neben den sozioökonomischen Problemen werden dabei insbesondere der Zerfall politischer Gemeinschaften ("Staatsversagen"), die Schwächung des Multilateralismus und kulturelle bzw. religiöse Faktoren behandelt.
- Der 2. Teil wendet sich dem " Friedensbeitrag der Christen und der Kirche" zu: wie sie, aus Gottes Frieden lebend, diesen Frieden bezeugen, für den Frieden bilden, die Gewissen schützen, für Frieden und Versöhnung arbeiten und vom gerechten Frieden her denken.
- Der 3. Teil ("Gerechter Friede durch Recht") beschreibt die Anforderungen an eine globale Friedensordnung als Rechtsordnung und die Grenzen rechtserhaltenden Gebrauchs militärischer Gewalt.
- Der 4. Teil schließlich skizziert die "politischen Friedensaufgaben": Die universalen Institutionen müssen gestärkt werden, Europa muss seine Friedensverantwortung wahrnehmen, und es ist notwendig, die Waffenpotenziale abzubauen, hingegen die zivile Konfliktbearbeitung auszubauen.
Klare Leitgedanken verbinden sich in der Denkschrift mit konkreten Handlungsoptionen. So ist etwa mit einer rechtsverbindlichen, internationalen Friedensordnung der Anspruch verknüpft, dass diese Rechtsordnung dem Vorrang ziviler Konfliktbearbeitung verpflichtet ist. Außerdem bindet sie die Anwendung von Zwangsmitteln an strenge ethische und völkerrechtliche Kriterien. Auch die Herausforderung durch den modernen internationalen Terrorismus rechtfertigt keine Wiederbelebung der Lehre vom "gerechten Krieg". Vielmehr bewährt sich gerade in einer solchen Situation die Ausrichtung aller friedenspolitischen Überlegungen an der Leitidee des "gerechten Friedens".
In der neuen Denkschrift wird die Auffassung vertreten, die Drohung mit dem Einsatz nuklearer Waffen sei in der Gegenwart friedensethisch nicht mehr zu rechtfertigen. Doch konnte die Kammer über die friedenspolitischen Folgerungen aus dieser Aussage keine volle Übereinstimmung erzielen.
Der Rat der EKD würdigt die friedenspolitische Rolle Europas und der Europäischen Union (EU). Zugleich warnt er ausdrücklich vor einer Ausweitung der Auslandseinsätze der Bundeswehr. Der Prozess der "Transformation" der bundesdeutschen Streitkräfte in eine Armee im Einsatz wird kritisch betrachtet. Der "Schutz Deutschlands und seiner Bürgerinnen und Bürger" ist eine Aufgabe, die vor allem politisch wahrgenommen werden muss.
Durchgängig hebt die Denkschrift die Notwendigkeit der Prävention hervor; sie erkennt gewaltfreien Methoden der Konfliktbearbeitung einen Vorrang zu; sie betont die wichtige Rolle der zivilen Friedens-, Freiwilligen- und Entwicklungsdienste für die Bewahrung und Förderung eines nachhaltigen Friedens. Mit dieser Grundorientierung bringt die Evangelische Kirche in Deutschland ihre Stimme in die politische und in die ökumenische Diskussion ein. Sie versteht ihre Denkschrift auch als einen Beitrag zu der vom Ökumenischen Rat der Kirchen ausgerufenen Dekade zur Überwindung von Gewalt (2001-2010).
Zusammenfassende Thesen
(194) Wer den Frieden will, muss den Frieden vorbereiten. Der Wunsch nach Frieden ist stärker als je zuvor in den erklärten Zielsetzungen wichtiger Institutionen der internationalen Gemeinschaft und in der deutschen Gesellschaft verankert. Die beobachtbare Abnahme der Zahl und Opfer von Kriegen und Gewaltkonflikten, insbesondere solcher von höchster Intensität, gibt Hoffnung, dass eine erhöhte friedenspolitische Aufmerksamkeit und entsprechend verstärkte Bemühungen tatsächlich Frieden auf der Welt befördern können. Friede ist keine Selbstverständlichkeit, aber möglich und kostbar.
(195) Wer aus dem Frieden Gottes lebt, tritt für den Frieden in der Welt ein. Das christliche Friedenszeugnis konkretisiert sich in Verkündigung und Gottesdienst, in Bildung und Erziehung, im Eintreten für das Grundrecht der Gewissensfreiheit, für Versöhnung statt Vergeltung und für einen gerechten Frieden als Leitbild einer kooperativen Weltordnung. Friede ist ein – immer erneut zu gewährleistender – Prozess der Förderung der Freiheit, des Schutzes vor Gewalt, des Abbaus von Not und der Anerkennung kultureller Verschiedenheit. Er basiert auf der Fähigkeit, unausweichliche Konflikte konstruktiv bearbeiten zu können. Die Einübung in diese Fähigkeit beginnt im alltäglichen Leben der Menschen. Vertrauensbildung und Verständigungsversuche sind Wege dazu.
(196) Gerechter Friede in der globalisierten Welt setzt den Ausbau der internationalen Rechtsordnung voraus. Sie muss dem Vorrang ziviler Konfliktbearbeitung verpflichtet sein und die Anwendung von Zwangsmitteln an strenge ethische und völkerrechtliche Kriterien binden. Menschenrechte und Demokratie müssen in den lokalen Traditionen verankert sein oder zumindest zwanglos mit ihnen verbunden werden können. Jede noch so wohlgemeinte Intervention in Gewaltkonflikte von außen muss das beachten. Auch neue Herausforderungen wie der internationale Terrorismus rechtfertigen keine Wiederbelebung der Lehre vom »gerechten Krieg«; ihnen kann und muss vielmehr im Rahmen des Regelwerks der UN begegnet werden.
(197) Staatliche Sicherheits- und Friedenspolitik muss von den Konzepten der »Menschlichen Sicherheit« und der »Menschlichen Entwicklung« her gedacht werden. Diese Konzepte sollten zu Prüfkriterien auch für friedenspolitische Stimmigkeit und Folgenabschätzung in verschiedenen Politikfeldern werden. Ohne Beachtung der Sicherheitsbedürfnisse der Menschen jenseits der Konfliktlinien hat Friedenspolitik keine Basis. Ohne Beachtung der Interessen der je Anderen können sich Vertrauen und Zusammenarbeit nicht entwickeln. Daher dürfen Sicherheitsvorkehrungen im Interesse eines Landes – insbesondere militärische – nicht an die Stelle kooperativer Bemühungen um Frieden treten. Auch bewaffneter Schutz für Gruppen, die unter Gewaltkonflikten leiden, darf diese Perspektive nachhaltigen Friedens nicht aus den Augen verlieren. Frieden zu bezeugen und für Versöhnung auch dort zu arbeiten, wo Misstrauen, Gewalt und Unterdrückung herrschen, gehört unabdingbar zu den Aufgaben der Christen. Die Kirche Jesu Christi ist dazu berufen.